Seit einiger Zeit ist der islamischen Diskussionskultur Mund und Ohren erwachsen. Ich kann es mir nicht anders erklären, das so eine heiße und intensive Debatte im Iran zustande gekommen ist. Um was geht es eigentlich wieder mal? Es geht um den iranischen Philosophen Abdolkarim Soroush.
Alles was er sagt geht mit einer Lawine der Entrüstung oder Bejubelung einher. Die aktuelle Debatte ist zwar nicht so ganz aktuell, aber es hat wohl gedauert, bis sie richtig eingeschlagen hat. Kurz zusammengefasst ist es diese Anschauung: Der Koran ist nicht (nur) als reines Gotteswort anzusehen, sondern als vom Propheten vermittelte Botschaft. Wer sich einen Eindruck über diese Thesen verschaffen möchte, ist mit folgenden Hinweisen gut bedient:
Wer Türkisch kann ist mit dem türkischen Onlinejournal Fikritakip (Die Seite gibt es leider nicht mehr) gut bedient. Nachrichten, Soziale, Kultur und religiöse Debatten bilden den Inhalt dieser Seite. Zu Soroush gibt es eine Sparte mit Artikeln. Es ist eine Auflistung von Repliken auf die Thesen von Soroush und seine Antworten darauf, vieles ist auch Übersetzung der englischen Text von seiner Homepage. Die Liste wird ständig erweitert und versucht die Diskussion nachzuverfolgen:
Da dachte ich, die islamische Theologie ist ausgestorben und begnügt sich mit Brauchtumspflege und schon bekomme ich die schöne Möglichkeit voll auf der Schnauze zu landen. Es geht mir dabei nicht darum, das provokante Thesen besser oder richtiger sind. Das alles was von Freigeistern oder Theologen einer Minderheiten-Position kommt sofort zu akzeptieren gilt und das alte(!) unbrauchbar wäre. Nein es geht mir darum, das eine Diskussionskultur entsteht, wie sie einmal die islamische Geschichte kannte. Das auch die provokantesten Thesen diskutiert werden können. Ich erhoffe mir eine Kultur, die den Menschen nicht ihren Mund verbieten, so das Theologen und Intellektuelle nicht um ihr Leben fürchten müssen. Im Grunde ist es einfach die Fortführung der islamischen Tradition mit all ihren Widersprüchen und Spannungen. Und das ist auch gut so, denn wenn irgendwann mal Harmonie in der islamischen Theologie herrschen sollte, wird sie tot sein.
„…wenn irgendwann mal Harmonie in der islamischen Theologie herrschen sollte, wird sie tot sein“
Was für ein schöner diskordischer Satz!
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Wenn der Koran nicht mehr als reines Gotteswort angesehen wird, sondern auch als von einem Menschen gemacht (wenn auch um Gottes Botschaft zu vermitteln), dann impliziert das doch eigentlich, dass man die Aussagen des Koran auch als von der damaligen historischen und kulturellen Siutation geprägt verstehen kann. Was wiederum die Möglichkeit eröffnen würde nicht alles wörtlich zu nehmen.
Aber ich habe keine Ahnung von Religionswissenschaft, lasse mich also gerne belehren 🙂
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Streng genommen haben islamische Theologen immer Koranverse interpretiert, ohne die Göttlichkeit der Verse zu leugnen. Das ist nicht der Unterschied, was jetzt die heutige Situation ausmacht.
Die Diskussion, die Soroush losgetreten hat, hat ihre Wurzeln in den Tiefen der islamischen Geschichte. Schon sehr früh wurde diskutiert, welchen Anteil der Prophet an den Versen hat. Der Mainstream ist sich dahingehend einig, dass die Verse wortwörtlich von Gott stammen. Auch das ist kein Hinderniss die Verse zu interpretieren also metaphorisch oder allegorisch zu deuten. Das wurde schon immer gemacht. Die literalistische Tendenz hat es auch gegeben. Sie dürfte heute sogar Aufwind erfahren.
Vieles an dieser Diskussionen ist eher ein Fall für Experten und Theologen. Auf den Alltag hat das keinen Einfluß. Aber insofern wird es die Sensibilität für abweichende Diskurse schärfen. Und langfristig kann es auch den Charakter der heutigen miserablen Tendenz ändern, die Verse streng fundamentalistisch zu deuten.
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