Mein Beitrag (hier Audio) im DeutschlandRadio Kultur – Politisches Feuilletion:

Das islamische Event
Religiosität des Nachbarn kennenlernen
Von Serdar Günes

„Der Staat ruft, die dackeln hin und nicken alles ab.“ Das war mein erster Gedanke zur zweiten Deutschen Islam Konferenz. Mein zweiter war, dass Muslime durchaus eine Plattform brauchen, um eine eigene Debattenkultur zu entwickeln.

Sie müssten mehr untereinander und miteinander reden, damit sie die Vielfalt des Islam erfahren, die Religiosität des Nachbarn kennen und schätzen lernen, sich Gedanken über die Zukunft ihrer Religion machen. Diese und andere Themen sind für gläubige Menschen ebenso wichtig und aufregend wie der spektakuläre Streit um Kopftücher und Religionsunterricht. Sie sind aber langweilig für Außenstehende. Und das wäre nur gut.

Denn noch wird das Image der Muslime allzu sehr von der Befindlichkeit Anderer geprägt: sei es vom Sicherheitsinteresse der Politik, sei es vom Hinterfragen islamischer Lebensweisen. Der immense Druck, sich zu rechtfertigen, kostet sehr viel Energie. Um die Bedürfnisse der Muslime aber geht es dabei nicht.

Es ist ein pulsierendes muslimisches Leben entstanden, über das auch angeregt in sozialen Netzwerken und lokalen Initiativen diskutiert wird. Wäre es daher nicht endlich Zeit, diese Menschen zusammenzubringen – selbstbewusst auf einem großen Forum zum Kennenlernen und zum Dialog? Das Vorbild wären Synoden oder Kirchentage der Christen. Initiativen gibt es schon.

Der Journalist Eren Güvercin beispielsweise bereitet eine alternative Islamkonferenz vor. Seine Kollege Abdul-Ahmad Rashid hat einen Tag der Muslime vorgeschlagen. Eine tolle Idee. Was aber sollte solch ein muslimisches Event leisten? Nicht viel. Oder genauso viel wie ein christlicher Kirchentag.

Gemeinsam zu beten und zu feiern, wäre dessen originäres Anliegen, natürlich müsste er auch Selbstreflexion anregen – und die Suche nach gemeinsamen Positionen gegenüber Gesellschaft, Politik und Staat. Lässt sich der Islam demokratisch leben? Ist Glaube mit Demokratie vereinbar? Was bedeutet konservativ, was liberal innerhalb einer Religion?

Hitzige Debatten stehen an – auch insofern nicht anders als auf einem evangelischen oder katholischen Kirchentag. Noch werden solche Debatten aber isoliert und elitär in Feuilletons – wie diesem, im Internet oder unter Freunden geführt. Muslime und ihre Vertreter müssen sich jedoch den Interessen der ganzen Community stellen. Sie könnten dann nicht länger Staat und Gesellschaft als Ausrede benutzen, wo sie untereinander und mit ihrer Basis, dem einfachen Volk, konfrontiert werden.

Nicht nur hitzig, schmerzlicher dürften diese Diskussionen sein als jene auf der Islamkonferenz des Bundesinnenministers. Denn es stünden die eigenen Ansprüche zur Disposition. Wir, die Muslime, hätten Traditionalismus, Modernismus, Fundamentalismus zu hinterfragen, die Rolle der Frau (und hoffentlich des Mannes), den Koran, den Propheten und die Streitfrage, ob wir Zinsen nehmen können oder nicht.

Ich gebe schon jetzt zu, viele Antworten, mit denen ich aus Erfahrung rechne, würden mir die Haare zu Berge stehen lassen.

Aber egal, ob sie mir gefallen oder nicht, es wären am Ende deutsche, mitteleuropäische Antworten, welche diese offene Debatte erzwingen würde, weil Muslime erwarten, mit ihrer Hilfe ihren Alltag hierzulande religiös und zugleich überzeugend zu gestalten. Noch leben sie in den recht unterschiedlichen Traditionen ihrer Heimatländer, obschon sie sich schon lange mit ganz anderen Rahmenbedingungen arrangieren müssen. Deshalb hilft es nicht weiter, theologische Fragen und Antworten aus der Türkei oder aus Ägypten nach Deutschland zu übernehmen.

Ein muslimisches Event, ein Muslimtag würde das Selbstbewusstsein der Community ausdrücken, das hieße ihre Eigenständigkeit in der islamischen Welt und ihre Emanzipation in der deutschen, der europäischen Gesellschaft. 

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Außerdem empfehle ich das DeutschlandRadio-Interview mit meinem Blogger-Kollegen und Freund Hakan Turan! Weiterhin diesen köstlich-bissigen Beitrag von Feynsinn!