Ich finde den Kommentar von Engin Karahan zu meinem Radiobeitrag wichtig, so das ich ihn als Gastbeitrag reinstelle:

Selam Serdar,

guter Beitrag, aber eine Anmerkung hätte ich dann doch.

Tatsächlich hast Du Recht, wenn Du auf die problematische Lage der Theologie in der islamischen Welt hinweist, insbesondere wenn man auf die Situation von reformorientierten Theologen schaut. Einerseits ist es zum verzweifeln, mit was für Repressalien diese Menschen für ihr Denken konfrontiert werden, andererseits ist es aber meiner Meinung nach auch nicht überraschend, dass diese Probleme oft genug in Ländern auftauchen, die oftmals eher autoritär regiert werden. Ich habe den Eindruck, dass in diesen Ländern ein gesellschaftliches Klima herrscht, das grundsätzlich reformatorische Aussagen, ob nun in der Theologie oder in anderen Wissenschaftszweigen, als problematisch und die „Ordnung“ gefährdend ansieht.

Bei solch einer Gemengelage könnte die freie wissenschaftliche Arbeit im nichtmuslimischen Ausland als tatsächlich befreiend wirken. Auch wenn ich es persönlich als eine Schmach für muslimische Gesellschaften ansehe, wenn Menschen wie Fazlurrahman, Abu Zaid und andere erst ins nicht-muslimische Ausland, oder besser gesagt, in Länder mit einer funktionierenden Zivilgesellschaft auswandern mussten, um ungestört an ihrer Forschung zu arbeiten, so ist mir dieses Weiterforschen „in der Ferne“ doch lieber, als das Ausbleiben dieser Arbeiten.

Jedoch stelle ich bei auch mit Deinem Beitrag die Frage, ob diese Freiheit in den Ländern in denen wir leben noch weiterhin in dieser Form weiterbesteht? Viele der Gelehrten, die ihre reformatorischen Arbeiten im Westen betrieben haben, lebten zu einer Zeit in westlichen Staaten, in der die „Islam-Frage“ nur eine externe, keine eigene gewesen ist. Insofern war das Interesse für diese Arbeiten oftmals auf ein begrenztes Fachpublikum begrenzt, wobei selbst dieses sich mit einer oberflächlichen Betrachtung begnügte. In diesem Sinne empfand ich es zum Beispiel immer als sehr amüsant, wie sehr doch die Wahrnehmung der „Ankaraner Schule“ in Deutschland sich von der Selbstwahrnehmung ihrer Protagonisten unterschied. Oftmals wurde nämlich verkannt, welches Potential des Islams hervortreten konnte, wenn von ihren Aussagen der doch manchmal sehr dicke Staub von manch traditionellen Interpretationen entfernt wurde. Oft genug stand dann nicht mehr ein „zurückgebliebener“, in vormodernen, vorindustriellen Vorstellungen festhängender Islam vor ihnen, sondern einer, der mitdiskutieren und mitdebattieren wollte, und sich nicht scheute, unangenehm zu werden.

Gerade diese Möglichkeit dürfte aber die Frage nach der Freiheit hier im Westen unter ein neues Licht stellen. Denn mittlerweile wird „der Islam“ nicht mehr als fremde, sondern als eigene Angelegenheit angesehen. Für bestimmte politische Kreise ist es nicht mehr unwichtig, zu welchem Ergebnis diese Wissenschaftler kommen, sondern dass sie zu einem bestimmten Ergebnis kommen. Die Erwartungshaltung gegenüber diesen Wissenschaftlern ist gestiegen. Nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist dann mehr wichtig, sondern nur noch das Hervorbringen von genehmen Ergebnissen.

Dabei meine ich nicht nur politischen Druck, der von Fördergeldgebern nicht selten auftaucht, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld. Interessant fand ich zum Beispiel die Aussage eines türkischstämmigen Wissenschaftlers dahingehend, dass er sich von seiner Arbeit in Europa eigentlich erhofft hatte, noch freier und unabhängiger von tagesaktuellen Debatten arbeiten zu können. Hier würde er jedoch immer häufiger von mehrheitsgesellschaftlichen Akteuren zu einem „Vertreter“ des Islam gemacht und ihm damit die Freiheit zum Forschen genommen. Schon aus moralischer Verantwortung gegenüber den anderen Muslimen hätte er dann viel mehr darauf zu achten, was er sagt und wie er es sagt und oftmals seine eigene Vorstellungen zurückzustellen, da er sonst befürchtet, als Alibi für die bestehenden Bedrohungsszenarien gegenüber Muslimen missbraucht zu werden.

So viel erst ein Mal von mir

Engin